Agilität, Scrum, Objectives and Key Results (OKR) oder Kanban – diese Schlagworte sind derzeit im Bereich Organisationsentwicklung in aller Munde. Ursprünglich stammt das Konzept der Agilität aus der Software-Entwicklung und bezeichnet die Fähigkeit einer Organisation beweglich zu sein, also in schnellen, intensiven und iterativen Entwicklungszyklen Produkte zu erstellen. Dadurch soll zum einen der Kundennutzen und Innovationsgrad und zum anderen die Wettbewerbsfähigkeit steigen. Die reinen Grundsätze für Agilität als Arbeitsweise sind im Agilen Manifest festgehalten. Der Erfüllungsgrad dieser Grundsätze wird als agiles Potenzial einer Organisation bezeichnet. Zunehmend erfreut sich Agilität auch in Organisationen außerhalb der Software-Entwicklung an Beliebtheit.
In Anbetracht der gegenwärtig immer komplexer werdenden Herausforderungen und daraus erwachsenen Ansprüche für die Handlungsfähigkeit öffentlicher Verwaltung durch beispielsweise Digitalisierung, Dienstleistungsorientierung, den Fachkräftemangel oder Fähigkeiten, zur Lösung von unvorhergesehenen Herausforderungen, wie gegenwärtig durch Covid-19 gefordert, stellt sich die Frage, inwiefern Agilität eine Antwort auf die Herausforderungen der öffentlichen Verwaltung darstellt. Agile Verwaltung – Ein Zukunftskonzept? Passt die flexible, wettbewerbsorientierte Ausrichtung von Agilität zu den Strukturen der öffentlichen Verwaltung mit dem gesetzlichen Auftrag für das Gemeinwohl Stabilität und Verlässlichkeit zu schaffen sowie rechtsstaatliches Handeln sicherzustellen? Ist Agilität öffentlicher Verwaltungen ein kurzlebiger Trend oder eine langfristige Zukunftsstrategie?
“Das Mindset ist entscheidend!” - Einblicke aus der Konferenz für Agile Verwaltung 2020
Einen guten Einblick in die aktuellen Trends, Richtungen und Erkenntnisse zum Thema Agilität in Verwaltungen bietet die seit 2016 stattfindende Konferenz “Agile Verwaltungen”, die vom Forum für Agile Verwaltung organisiert wird. Die diesjährige Ausgabe fand in Ettlingen bei Karlsruhe statt. Wir waren mit dabei und konnten eine Reihe interessanter Diskussionen verfolgen, in denen es um ganz konkrete Beispiele aus der Praxis ging. So stellte die Amtsleitung aus der Kommune Herrenhausen ihre Erfahrungen mit der Einführung von selbstorganisationalem Arbeiten auf dem kommunalen Bauhof vor. Aus Bad Nauheim kam ein Beispiel zur Einführung eines Kanban Boards zur Organisation von Arbeiten im Fachbereich Soziales. Die Kunsthochschule für Medien Köln präsentierte ihre Ergebnisse einer ohne Abteilungsleitung geführten Querschnittsabteilung. Und die Hochschule Schwyz stellte ein Beispiel vor zur Delegation von aufgabenbasierten Kompetenzen auf der kleinstmöglichen operativen Ebene (subsidiäre Führungsstrukturen). Daneben gab es eine Vielzahl fachlicher Panels.
Das für uns eindrucksvollste Statement lieferte Jochen Mörler von der Stadt Bad Nauheim, der über seine Erfahrungen bei der Einführung eines Personal Kanban berichtete: “Das Mindset ist entscheidend! (…) Ein Personal Kanban [allein] macht eine Verwaltung nicht agil”. Mörler wies damit auf einen zentralen Aspekt hin, der auf der Konferenz übergreifend thematisiert wurde: Agilität im Verwaltungskontext ist zuallererst eine Frage der Haltung und Denkweise. Das bedeute jedoch nicht, das Bestehende unreflektiert in Frage zu stellen, sondern mit dem frischen Blick von agilen Denkweisen auf die eigenen Prozesse und Dienstleistungen zu schauen und an passenden Stellen mit Hilfe von agilen Methoden weiterzudenken und – zu entwickeln. Dies könne beispielsweise durch die stärkere Einbeziehung von Kundenperspektiven, die Bearbeitung von Projekten durch abteilungsübergreifende Teams, die subsidiäre Verteilung von aufgabenbasierten Kompetenzen auf Fachteams oder die begleitete Einführung agiler Methoden (z.B. Backlogs, Kanban, Einführung von Rollen statt Funktionen) geschehen.
Die Vertreter*innen aus den oben genannten Verwaltungen zeigten sich begeistert von den beobachteten Resultaten durch die Einführung von Agilität. So fasste Amtsleiter Stefan Kraus die Ergebnisse der Einführung wie folgt zusammen: “Mehr Aufträge, konstruktiveres Miteinander, mehr Bürgernähe und positiveres Employer Branding [Arbeitgeberattraktivität]”. Gleichwohl waren sich alle Beteiligten einig, dass der Prozess der Einführung agilerer Arbeitsweisen durchaus herausfordernd ist und viel konzeptionelle Arbeit zur Weiterentwicklung anschlussfähiger agiler Prozesse erfordert. Damit verbunden war ein iterativer Prozess mit mehreren Lern- und Ausprobierschleifen. Zudem handelte es sich bei den Einheiten aus den Fallbeispielen um vorerst einzelne organisationale und fachliche Bereiche/Fachgruppen/Abteilungen in der jeweiligen Verwaltung.
Hieraus lassen sich zwei zentrale Botschaft des Tages herauslesen:
- Nicht übernehmen: Das Konzept sollte nach Möglichkeit zunächst klein gehalten werden und schrittweise angegangen werden.
- Probieren geht über Studieren: Der Prozess ist stetig laufend, das heißt es sollten neue Dinge ausprobiert werden. Fehler zu machen und aus Fehlern zu lernen ist kein Tabu.
Kurzlebiger Trend oder Zukunftsstrategie? - Weder noch, sondern beides!
Die Erkenntnisse der Konferenz zeigen, dass generell ein Zusammenwirken von öffentlicher Verwaltung und Agilität unter bestimmten Umständen möglich ist. Die in der Überschrift aufgeworfene Frage lässt sich daher wie folgt beantworten: Die Anforderungen für hohes agiles Potenzial als flexible, dezentrale und wettbewerbsorientierte Struktur in einer Organisation stößt beim Auftrag der öffentlichen Verwaltung, für das öffentliche Interesse Stabilität und Verlässlichkeit zu schaffen sowie rechtsstaatliches Handeln zu gewährleisten, an seine Grenzen. Gleichwohl ist es möglich, die internen Prozesse und Dienstleistungen im Sinne des Auftrags der öffentlichen Verwaltungen an passenden Stellen durch agile Arbeitsweisen weiterzuentwickeln. Statt von Agilen Verwaltungen bietet es sich stattdessen an, von der Einführung agiler (und digitaler) Arbeitsweisen in öffentlichen Verwaltungen oder einfach Erhöhung der Handlungsfähigkeit zu sprechen.
Diese Einführung von neuen Arbeitsweisen ist jedoch nicht nur allein ein fachlicher Veränderungsprozess von Arbeitsabläufen. Vielmehr geht es dabei um einen tiefgreifenden Wandel der Organisationskultur, also das was eine Organisation, im Innersten zusammenhält. Es geht um die Art und Weise des Miteinanders und der Zusammenarbeit von Menschen, Teams und Organisationseinheiten. Ein derartiger, auf die Stärkung von Agilität ausgerichteter, Veränderungsprozess bewegt sich dabei stets im Spannungsfeld zwischen den Interessen der Mitarbeiter*innen, organisationalen Zielen und gesamtgesellschaftlichen Belangen. Daher erfordert dieser Wandel Bereitschaft zur Weiterentwickelung, Akzeptanz von Fehlern und eine stärkere interne Fokussierung von Arbeit und Verantwortung auf die Mitarbeitenden. Wichtige Elemente für den Prozess sind außerdem eine umfassende, multiperspektivische und gründliche Analyse der Organisationskultur und der internen Prozesse zur Identifizierung von Stellen zur passenden Veränderung. Hierauf aufbauend eine intensive Konzeptionalisierung von kleinteiligen Veränderungsschritten. Die Umsetzung sollte in einem länger begleiteten Zeitraum in kleinen Schritten erfolgen und flexibel auf neue Erkenntnisse reagieren.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Einführung agiler (und digitaler) Arbeitsweisen in der öffentlichen Verwaltung anfangs mühselig sein kann und von allen Beteiligten viel Bereitschaft erfordert. Die Beispiele aus Ettlingen zeigen jedoch: Die Mühe lohnt sich! Die Effektivität des Arbeitens sowie die Art und Weise des Miteinanders und der Zusammenarbeit von Menschen, Teams und Organisationseinheiten wurde in den Veränderungsprozessen entscheidend verbessert und tragen langfristig gesehen Früchte. So resümierte Sabine Schulz von der Kunsthochschule für Medien Köln sichtlich zufrieden mit den Ergebnissen: „Die Menschen sind lebendiger geworden!”