Wie gelingt es Führungskräften, insbesondere in Krisen, den Sorgen und Ängsten ihrer Mitarbeitenden kommunikativ zu begegnen?
Die Corona-Pandemie stellt viele Führungskräfte vor neue Herausforderungen. Maßnahmen wie Kurzarbeit und Homeoffice führen zu enormer Unsicherheit und Zukunftsängsten vieler Mitarbeitenden. In solchen Phasen der Krise ist es umso entscheidender, wie Führungskräfte mit den psychologischen Erlebniszuständen ihrer Mitarbeitenden umgehen. Kommunikation ist hier der Schlüssel zum Erfolg. Auch der Begründer der Gewaltfreien Kommunikation, Marshall B. Rosenberg, stellte fest: Die Art, wie ich eine Situation betrachte und wie ich daraufhin kommuniziere, beeinflusst ganz wesentlich, ob ich die Macht habe, die Situation zu verändern oder ob ich die Dinge verschlimmere [1].
Aus diesem Grund stellt die Gewaltfreie Kommunikation bei IMAP einen wichtigen Pfeiler der Führungskräfteentwicklung dar. In unseren Personalentwicklungsmaßnahmen kommt sie überall dort zum Einsatz, wo es darum geht, Konflikte konstruktiv zu lösen und empathisch zu kommunizieren. Doch was versteht man eigentlich unter Gewaltfreier Kommunikation und wie lässt sie sich konkret in dem Alltag einer Führungskraft anwenden?
Die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) ist eine Haltung der humanistischen Psychologie. Häufig ist unsere Kommunikation bewusst oder unbewusst geprägt von moralischen Urteilen, Schubladendenken, Schuldzuweisungen und Forderungen. Das Ziel der GFK stellt folglich ein Kommunizieren dar, das frei von diesen Denk- und Kommunikationsmustern ist. Dies wird durch den Ausdruck von Offenheit und Mitgefühl erreicht. Indem die GFK ein tieferes Zuhören sowie Respekt und Empathie fördert, erleichtert sie Anwender*innen, berufliche und private Beziehungen effektiv aufzubauen und bereits bestehende Beziehungen zu vertiefen.
Hierfür konzentriert sich die GFK auf vier Bereiche: Was wir beobachten, was wir fühlen, was wir brauchen und worum wir bitten. Die Faustformel lautet: Wenn ich a (Beobachtung) sehe, dann fühle ich b (Gefühl), weil ich c (Bedürfnis) brauche. Deshalb möchte ich gerne d (Bitte).
Was bedeutet das konkret für Ihren Führungsalltag?
1. Beobachten Sie, ohne zu bewerten
Die erste Komponente der GFK beinhaltet die Trennung von Beobachtung und Bewertung. Vielleicht konnten Sie in Ihrem Arbeitsalltag bereits beobachten, dass Ihre Mitarbeitenden dazu neigen, sich Ihnen zu widersetzen, wenn Sie eine Beobachtung mit einer Bewertung kombinieren, z. B. „Sie kommen immer zu spät!“ Dieser Satz wirkt auf Ihr Gegenüber wie eine Kritik und provoziert unmittelbar eine Rechtfertigung oder einen Gegenvorwurf. Die GFK ist eine dynamische Sprache, die bewusst auf solche statischen Verallgemeinerungen verzichtet. Nehmen Sie sich stattdessen vor, für einen bestimmten Zeitraum in einem bestimmten Kontext wertfreie Beobachtungen zu machen und diese auch so zu kommunizieren, z. B. „Zu den letzten drei Besprechungen sind Sie 30 Minuten zu spät erschienen.“ Sie werden überrascht sein, welche unterschiedliche Wirkung dieser Ausdruck bei Ihren Mitarbeitenden erzeugt.
2. Identifizieren Sie Gefühle und drücken Sie diese aus
Haben Sie schon einmal versucht, Ihren Mitarbeitenden zu kommunizieren, wie Sie sich in einer bestimmten Situation fühlen? Die Identifikation von Gefühlen und die Entwicklung eines Vokabulars, um diese auszudrücken, stellen die zweite Komponente der GFK dar. In unseren Führungskräftetrainings begegnen wir häufig Aussagen wie: „Gefühle haben nichts im Führungsalltag zu suchen!“ Oft steckt hinter solchen Aussagen die Angst, sich durch den Ausdruck von Gefühlen verletzlich zu machen. Die GFK macht sich dies zunutze: Indem Sie als Führungskraft Ihren Mitarbeitenden dosiert Ihre eigene Verletzlichkeit offenbaren, können Sie dabei helfen, Konflikte zu lösen.
3. Übernehmen Sie Verantwortung für Ihre Gefühle (Bedürfnisse)
In unseren Führungskräftetrainings berichten Führungskräfte häufig, dass sie z. B. wütend werden, wenn sie von Ihren Mitarbeitenden in Ihrer Wahrnehmung zu Unrecht kritisiert werden. Das, was andere sagen und tun (hier: Kritik) ist vielleicht der Anreiz für Ihre Gefühle (Wut). Die tatsächliche Ursache für Ihre Gefühle liegt allerdings bei Ihnen selbst. Der dritte Schritt der GFK beinhaltet demnach, dass Sie sich darüber bewusstwerden, welche Bedürfnisse Ihren Gefühlen zugrunde liegen.
Wenn jemand Ihnen gegenüber negativ kommuniziert, haben Sie vier Möglichkeiten, diese Nachricht aufzunehmen: Sie können (1) sich selbst die Schuld zuweisen; (2) anderen die Schuld zuweisen; (3) Ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse wahrnehmen oder (4) die verborgenen Gefühle und Bedürfnisse hinter der negativen Botschaft des Gegenübers erkennen.
(1 & 2) Wenn Sie das Gesagte der Mitarbeitenden als Kritik verstehen, investieren Sie Energie in Selbstverteidigung oder Gegenangriffe. Das ist ein natürlicher Schutzmechanismus des Menschen, der Konflikte in den häufigsten Fällen allerdings nur weiter entfacht.
(3) Je direkter Sie Ihre Gefühle mit Ihren Bedürfnissen in Verbindung bringen können, desto leichter fällt es Ihrem Gegenüber, mitfühlend zu reagieren. Versuchen Sie deshalb Ihren Bedürfnissen Ausdruck zu verleihen, z. B. „Ich wünsche mir mehr Wertschätzung und Respekt.“
(4) Versuchen Sie, die verborgenen Gefühle und Bedürfnisse hinter der negativen Botschaft Ihrer Mitarbeitenden zu erkennen. Rufen Sie sich in Erinnerung, dass Urteile, Kritiken, Diagnosen und Interpretationen, die Personen über Sie und andere fällen, eigentlich ein entfremdeter Ausdruck ihrer Bedürfnisse und Werte sind.
4. Bitten Sie um das, was Ihr Leben bereichern wird
Nachdem Sie nun bereits kommuniziert haben, was Sie beobachten, was genau Sie wütend macht und welches Bedürfnis dahintersteckt, beinhaltet die vierte Komponente der GFK, eine anschließende Bitte an Ihre Mitarbeitenden zu formulieren. Versuchen Sie vage, abstrakte oder mehrdeutige Formulierungen zu vermeiden. Vergessen Sie außerdem nicht, einen positiven sprachlichen Ausdruck zu verwenden. Es geht darum, worum Sie bitten, anstatt darum, worum Sie nicht bitten (z. B. was ein*e Mitarbeiter*in „nicht mehr tun“ soll): „Ich möchte Sie bitten, dass Sie sich bemühen, bei der nächsten Besprechung pünktlicher zu sein.“
Da Ihre gesendete Nachricht nicht immer mit der empfangenen übereinstimmt, finden Sie heraus, ob Ihre Bitte richtig gehört wurde. Bringen Sie dabei Ihren Wunsch zum Ausdruck, dass Ihre Mitarbeitenden Ihrer Bitte nur dann nachkommen sollen, wenn sie dies aus freiem Willen tun. Denn Bitten werden als Anforderungen wahrgenommen, wenn das Gegenüber glaubt, dass er oder sie bestraft wird, wenn er oder sie dieser Bitte nicht nachkommt. Sie können Ihren Mitarbeitenden helfen, darauf zu vertrauen, dass Sie eine Bitte stellen, keine Anforderung.
Das Ziel der GFK ist es demnach nicht, Menschen und ihr Verhalten zu verändern, um das zu erreichen, was Sie wollen. Vielmehr bauen Sie auf Ehrlichkeit und Empathie basierende Beziehungen auf, die letztendlich den Bedürfnissen aller gerecht werden. In unseren Führungskräftetrainings berichten die Teilnehmenden davon, dass die GFK eine der effektivsten Formen der Kommunikation ist, um konfliktträchtige Kommunikationssituationen zu „entschärfen“ und langfristig vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen.
[1] Rosenberg, M. B. (2016). Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens. Junfermann Verlag GmbH.