Wie sich an der aktuellen Debatte über institutionellen Rassismus in Deutschland erkennen lässt, reagieren Menschen häufig mit einer Abwehrhaltung, wenn rassistische Strukturen angesprochen werden. Schlagworte wie „Generalverdacht“ und „Rassismusvorwurf“ prägen die öffentliche Diskussion und die Fronten verhärten sich schnell. Es wurden bereits viele Beiträge zur aktuellen Debatte geschrieben; nun auch einer von uns. Als systemisches Beratungshaus mit einem kulturell diversen Team und einem starken Fokus auf Kund*innen der öffentlichen Verwaltung, möchten wir gerne unsere Perspektive teilen. Wir möchten den Blick auf die Chancen richten, die sich für die öffentliche Verwaltung ergeben, wenn sie die aktuelle Debatte nutzt, um einen konstruktiven Dialog innerhalb der eigenen Organisation anzustoßen – und wie notwendig dieser Schritt für sie ist, um zukunftsfähig zu bleiben.
Einen offenen Dialog führen: Worüber reden wir eigentlich?
Rassismus als gesellschaftliches Phänomen, das über Jahrhunderte gewachsen ist und immer wieder neue Facetten hervorbringt[1] ist hoch komplex. Es lässt sich nicht in wenigen Worten beschreiben. Eine übersichtliche Zusammenfassung liefert beispielsweise die Bundeszentrale für politische Bildung[2].
Wir möchten an dieser Stelle einen Aspekt dezidiert betrachten, da er aus unserer Sicht besonders wichtig ist, um einen konstruktiven Dialog über Rassismus in der eigenen Organisation zu führen:
Rassismus wird oftmals verstanden als eine absichtsvolle Diskriminierung oder (Gewalt-) Tat durch Personen, die einer biologistischen oder kulturalistischen Ideologie anhängen.
Mit diesem Verständnis ist es nachvollziehbar, dass sich Behörden gegen eine Beschreibung als “rassistisch” wehren und sagen, dass sie – wenn überhaupt – auf eine kleine Minderheit der Beschäftigten zutrifft, denen eine große Mehrheit gegenübersteht. In dieser Definition ist rassistisches Verhalten derartig erschreckend und abstoßend, dass es automatisch mit baseballschlägerschwingenden Neonazis assoziiert wird.
Wir finden es wichtig zu verstehen, dass diese Definition eine extreme Ausprägung von Rassismus beschreibt. Sehr viel alltäglicher tritt Rassismus als Folge gruppenbezogener Vorurteile auf. Aus der Psychologie wissen wir, dass wir alle von bewussten und unbewussten Vorurteilen geprägt sind. Sie entstehen durch das Zusammenspiel selektiver Wahrnehmung, sozialer und kultureller Einflüsse, persönlicher Erlebnisse und sind im Gegensatz zu Stereotypen mit Emotionen behaftet.[3] Durch diese Mischung sind sie eng mit dem eigenen Welt- und Selbstbild verknüpft.
Um sich mit den eigenen – meist ungewollten – rassistischen Annahmen auseinanderzusetzen ist also Reflexion nötig. Sie kann mitunter schmerzhaft sein, da sie dem eigenen Selbstbild als vorurteilsfreier Mensch zuwiderläuft. Doch ist ein bewusster Umgang mit Vorurteilen der einzige Weg, ihre Auswirkungen auf das eigene Handeln zu minimieren.
Ein konstruktiver Dialog über Rassismus in der öffentlichen Verwaltung greift jedoch zu kurz, wenn er sich allein auf die individuelle Ebene der Mitarbeitenden beschränkt und rassistische Strukturen außer Acht lässt, die auf organisationaler Ebene wirken. Diese Spielart des Rassismus, den institutionellen Rassismus, beschreibt die Bundeszentrale für politische Bildung als “…das Zusammenwirken von gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen und Behörden, ihren Normen und Praktiken in der Produktion und Reproduktion von Rassismus.”[1] Die Frage, die wir uns stellen können, lautet also: Wie trägt meine Organisation oder meine Behörde dazu bei, dass Rassismus entsteht bzw. fortbesteht, z. B. durch den Umgang mit Kund*innen oder im Team, durch Prozesse und Informationsflüsse? Die Reflexion bewusster und unbewusster Vorurteile findet dann nicht mehr nur auf der individuellen, sondern auch auf der organisationalen Ebene statt.
Warum lohnt es sich für die öffentliche Verwaltung, sich mit institutionellem Rassismus auseinander zu setzen?
An diesem Punkt ist der wichtigste Schritt getan. Der Dialog ist nicht mehr nur ein Ping-Pong-Spiel aus Abwehr und Schuldzuweisung, sondern fokussiert sich nun auf die Reflexion und Verbesserung bestehender Strukturen vor dem Hintergrund, dass die Wahrnehmung eines jeden Menschen von Vorurteilen geprägt ist. Die Etablierung einer solch offenen Fehlerkultur innerhalb einer Organisation wird sich nicht nur im Umgang mit Rassismus auszahlen.
Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Gründen, sich mit der Bearbeitung von Rassismus in der eigenen Behörde zu beschäftigen. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat bereits 2015 eine Handreichung für Verwaltungsbeschäftigte veröffentlicht, in welcher das Thema Vielfaltsorientierung und Diversity Management als zukunftssichernde Strategie praxisnah vorgestellt wird.[4] Auch eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung von 2019 unterstreicht die Notwendigkeit der interkulturellen Öffnung innerhalb der öffentlichen Verwaltung.[5] Wir wollen hier die wesentlichen Gründe zusammenfassen:
- Den Personalbedarf decken
Laut Friedrich-Ebert-Stiftung werden 51 Prozent der zum Zeitpunkt der Studie in der Verwaltung Beschäftigten bis zum Jahr 2036 das Renteneintrittsalter erreichen. Eine Besetzung der leer werdenden Stellen der „Baby Boomer“ ist angesichts des Mangels an qualifizierten Nachwuchskräften eine Herausforderung. Kommt hier ein fehlender konstruktiver Umgang mit rassistischen Vorurteilen und Strukturen bei der Personalgewinnung hinzu, trifft das die Verwaltung hart. Nicht nur werden dadurch kompetenten Bewerber*innen Steine in den Weg gelegt, es schadet auch der Attraktivität der öffentlichen Verwaltung als Arbeitgeberin erheblich.
- Die eigene Kompetenz erhöhen
Um Anliegen einer diversen Kund*innenschaft bearbeiten zu können, benötigt die öffentliche Verwaltung entsprechende Kompetenzen im Umgang mit Diversität. Das sind beispielsweise die Fähigkeit des Perspektivwechsels, Handlungsstrategien bei kulturell begründeten Irritationsmomenten, Ambiguitätstoleranz und eben auch die Fähigkeit, rassistische Vorurteile und Strukturen als solche zu erkennen und aktiv dagegen zu wirken.
Und auch intern stärkt ein konstruktiver Dialog über Rassismus und ein wertschätzender Umgang mit Vielfalt die Fehlerkultur, wie oben bereits erwähnt, die Motivation und Zufriedenheit der Mitarbeitenden und damit ihre Leistungsbereitschaft.
- Den gesellschaftspolitischen Auftrag umsetzen
Die öffentliche Verwaltung spielt eine zentrale Rolle in einer diversen Gesellschaft. Im Nationalen Aktionsplan Integration des Bundes wird beispielsweise die „Interkulturelle Öffnung des öffentlichen Dienstes des Bundes“ als zentrale Maßnahme zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts aufgeführt.[6] Derzeit sind Menschen mit Migrationshintergrund in der öffentlichen Verwaltung jedoch stark unterrepräsentiert. Laut Friedrich-Ebert-Stiftung machen sie rund 23 Prozent der 25- bis 65-jährigen Gesamtbevölkerung Deutschlands aus, in der öffentlichen Verwaltung stellen sie jedoch nur etwas mehr als sechs Prozent der Beschäftigten dar. Selbst Deutsche mit Migrationshintergrund, die in Deutschland geboren sind und hier ihren Schulabschluss gemacht haben, sind unterrepräsentiert.
Die öffentliche Verwaltung ist folglich noch weit davon entfernt, ein Spiegel der Gesellschaft zu sein und damit zum gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt beizutragen. Diese Rolle kann sie nur einnehmen, wenn in den Behörden aktiv rassistische Vorurteile und Strukturen reflektiert und abgebaut werden.
Die aufgeführten Gründe sind nicht unbedingt neu, aber hochaktuell. Die derzeitige Rassismusdebatte hat zu einem gesteigerten öffentlichen Interesse an dem Thema geführt und zu zahlreichen Beiträgen von Expert*innen, die ihr Fachwissen und Handlungsempfehlungen mit der Öffentlichkeit teilen. Gute Rahmenbedingungen also, um das Thema auf die eigene Agenda zu setzen und einen offenen Dialog über Rassismus innerhalb der eigenen Organisation zu etablieren - konstruktiv und zukunftssichernd.
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[1] Vgl. Zick. 2010. Spielarten des Rassismus. In: Heinrich Böll Stiftung (Hrsg.) Rassismus und Diskriminierung in Deutschland Dossier. Online: http://www.migration-boell.de/web/diversity/48_2493.asp
[2] Koller. 2015. Was ist eigentlich Rassismus? Online: https://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/213678/was-ist-eigentlich-rassismus
[3] Vgl. Breuer. 2016. Online: https://www.deutschlandfunk.de/schubladen-im-kopf-wie-vorurteile-unser-denken-bestimmen.1148.de.html?dram:article_id=371714
[4] Antidiskriminierungsstelle des Bundes (Hrsg). 2015. Diversity-Prozesse in und durch Verwaltung anstoßen: von merkmalsspezifischen zu zielgruppenübergreifenden Maßnahmen zur Herstellung von Chancengleichheit. Online: https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/publikationen/Diversity_Mainstreaming/Handreichung_Diversity_Mainstreaming_Verwaltung_20120412.pdf?__blob=publicationFile&v=2
[5] Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.). 2019. Ein Zeitfenster für Vielfalt - Chancen für die interkulturelle Öffnung der Verwaltung. Online: http://library.fes.de/pdf-files/fes/15794.pdf
[6] Online: https://www.integrationsbeauftragte.de/ib-de/amt-und-person/aktionsplan-integration