Die Herausforderung durch das Auftreten des Coronavirus (SARS-CoV-2) und die damit verbundenen Kontaktbeschränkungen haben das Arbeitsleben in verschiedenen Branchen tiefgreifend verändert. Eine Branche, die davon am stärksten betroffen ist, ist die Pflege: Bewohner*innen von Pflegeeinrichtungen zählen zu den Risikogruppen des Coronavirus. Somit müssen die Pfleger*innen als systemrelevante Personen sicherstellen, sich und ihre Bewohner*innen bestmöglich zu schützen.
Daher müssen Pflegeeinrichtungen weitreichende Maßnahmen treffen, um zu verhindern, dass sich Bewohner*innen und das Personal anstecken. Dazu gehört unter anderem das Vorhandensein von Schutzausrüstungen und die Umsetzung von Beschlüssen aus der Politik und deren Auswirkungen auf die Pflegeeinrichtungen, trotz Kontaktbeschränkungen. Dies sind logistische, organisatorische und vor allem psychische Herausforderungen für Führungskräfte, Pflegekräfte, Angehörige und Bewohner*innen.
Diese Herausforderungen waren Thema im ersten digitalen Lernzirkel „Umgang mit der Corona-Krise – Austausch und Vernetzung“ den IMAP im Rahmen des AMIF-geförderten Projektes „Leuchttürme der Pflege“ am 5. Mai durchführte. Ziel des Projektes ist es, in den nächsten zwei Jahren 20 Pflegeeinrichtungen bei der interkulturellen Öffnung, der Mitarbeiterbindung, der Personalentwicklung und Vernetzung zu relevanten Akteuren zu begleiten und beraten. Beim Lernzirkel lernten sich Vertreter*innen unterschiedlicher Träger der ausgewählten Projektstandorte erstmalig kennen und bekamen somit die Möglichkeit, gemeinsam dazuzulernen.
Eine wesentliche Herausforderung in der Corona-Krise besteht für die Führungskräfte der Pflegeeinrichtungen darin, mit Emotionen ihrer Mitarbeitenden als Reaktion auf die Krise umzugehen. Die Einrichtungsleitungen und weitere Führungskräfte der Träger beschrieben, dass sie aktuell überwiegend negative Emotionen wie Angst, Trauer, Ärger, Unsicherheit und Hilflosigkeit bei ihren Mitarbeitenden beobachten. Diese Emotionen würden jedoch in einem unterschiedlichen Ausmaß, je nach kultureller Herkunft der Pfleger*innen, zugelassen und für andere sichtbar geäußert. Woher kommen diese kulturellen Unterschiede im Umgang mit Emotionen und wie können Führungskräfte am besten damit umgehen?
Grundsätzlich ist es wichtig zu wissen, dass es kulturell unabhängige Basisemotionen gibt, wie viele psychologische Untersuchungen ergeben haben. Einer der bekanntesten Emotionsforscher war Paul Ekman, der die folgenden sieben Basisemotionen definiert hat: Angst, Verachtung, Trauer, Freude, Überraschung, Ärger und Ekel. Diese Basisemotionen erlebt also jeder Mensch, unabhängig von seiner Kultur. Allerdings definieren die kulturellen Darstellungsregeln (engl. “display rules”), wann und wie diese Basisemotionen zum Ausdruck gebracht werden dürfen[1]. In “neutralen” Kulturen, wie beispielsweise in Osteuropa oder Asien, werden Emotionen von innen her kontrolliert und nicht nach außen getragen, oder es werden sogar, wie in Japan, negative Emotion nach außen hin mit positiven Reaktionen überspielt, da "neutrale” Kulturen ihre Mitmenschen nicht mit ihren Emotionen “belasten” wollen. Im Gegensatz dazu werden in “emotionalen” Kulturen, wie in Südamerika oder Südeuropa, die Emotionen ganz selbstverständlich nach außen hin mit anderen Menschen geteilt.
Hier ist es für Führungskräfte entscheidend, diese kulturellen Unterschiede in ihrer Kommunikation zu beachten, wenn sie den Umgang mit Emotionen am Arbeitsplatz mit ihren Mitarbeitenden besprechen wollen. Es empfiehlt sich, bei “neutralen” Kulturen, Emotionen “indirekt” anzusprechen, um einem Gesichtsverlust vorzubeugen. Dabei können Führungskräfte die beobachtete Emotion “verallgemeinern”, indem sie zum Beispiel grundsätzlich über das Thema “Angst vor Ansteckung” sprechen, ohne sich auf direkte Beispiele zu beziehen. Somit geben Führungskräfte ihren Mitarbeitenden die Wahl über Emotionen zu reden, wenn diese es als notwendig für sich selbst empfinden.
Weitere Herausforderungen in der Corona-Krise wurden in den Diskussionen und dem Austausch zwischen den Teilnehmenden des Lernzirkels deutlich. Vor allem über die Möglichkeiten, als Führungskraft in dieser Zeit das eigene Team zu stärken, wurde intensiv diskutiert. Das Thema Kommunikation mit dem eigenen Team stand hier im Mittelpunkt, weil nach Auskunft von vielen Beteiligten die Kommunikation sich in den ersten Tagen auf reine ad hoc Kommunikation zur Krisenbewältigung beschränkt hatte und altbewährte Kommunikationsstrukturen weggebrochen waren.
Als Erkenntnis aus der Krise schilderten die Teilnehmenden des Lernzirkels, wie wichtig es sei, alternative Kommunikationsformate mit Mitarbeitenden (Pflegedienstleitungen, Einrichtungsleitungen, Teamleitungen) zu etablieren. Beispiele hierfür waren zum einen die Einführung neuer regelmäßiger Besprechungsformate z.B. gemeinsame Video-Konferenzen oder Telefonkonferenzen aus dem Home-Office; zum anderen, dass sich die Kommunikationskultur bei ihnen verändert hatte. So wurde berichtet, dass in Gesprächen regelmäßiger Erfahrungsaustausch und Fachthemen für best practices und den jeweiligen Umgang mit der Corona-Krise stärker thematisiert wurden – beispielsweise durch die Etablierung eines wöchentlichen Austausches mit Einrichtungsleitungen zur Weitergabe von Stimmungsbildern, Maßnahmen zur Verbesserung der Bewohner*innen, Versorgung und Krisenkommunikation. Darüber hinaus gaben Viele wieder, dass sie sich insgesamt stärker als zuvor mit anderen Ebenen wie dem eigenen Träger oder überregional tätigen Kolleg*innen austauschten, was ebenfalls wertvolle Impulse für die eigene Arbeit gab.
Auch die flexible Anpassung von Strukturen und Prozessen an die Gegebenheiten war ein wichtiger Baustein für viele Beteiligte. Viele Teilnehmende zeigten auf, dass die Herausforderung, nicht zu wissen, was zu tun sei, in den ersten Tagen am schwersten zu händeln war. Grundlegend war für Viele daher die Erschaffung von Krisenstäben in den Einrichtungen, um zum Beispiel bei auftretenden Corona Fällen schnell reagieren zu können. Viele Einrichtungen haben außerdem Notfallpläne und Monitoring Systeme zum Schutz gefährdeter Personen und zur Sicherstellung der Versorgung der Bewohner*innen im Fall von Personalausfall erstellt.
Ein praktisches Beispiel für die flexible Anpassung von Strukturen zeigte sich beim Thema Pflichtfortbildungen trotz Kontaktbeschränkungen. Eine Teilnehmende teilte ihre Erfahrungen in der Einführung von Wissensmanagement in mobilen Teams. Mitarbeitende mit fachlichem Wissen und didaktischen Fähigkeiten sollen dazu befähigt werden, ihr Wissen in Kleingruppen-Schulungen an Kollegen*innen weiterzugeben und diese bei der Anwendung zu unterstützen. (Die unterschiedlichen Quellen von Wissen sind in der Abbildung unten zu sehen). Die Einführung von Wissensmanagement in mobilen Teams habe sich bewährt und sei gerade in der Krise sehr hilfreich.
Insgesamt zeigte sich während der Veranstaltung, dass diese Krise eine immense Herausforderung mit ungewissem Ende für alle darstellt. Mut machen kann vor allem, dass viele Beteiligte trotz der komplexen Situation dazu übergegangen sind, aktiv Lösungen zu entwickeln, um die ihnen anvertrauten Menschen bestmöglich zu schützen und zu versorgen. Ein Teilnehmender fasste dies so zusammen: „Die Krise als Chance zur Innovation und zum Abschneiden alter Zöpfe nutzen.“
[1] BRANDSTÄTTER, V., SCHÜLER, J., PUCA, R. M., & LOZO, L. (2018). Motivation und Emotion: Allgemeine Psychologie für Bachelor. https://doi.org/10.1007/978-3-662-56685-5.