Wie durch muttersprachliche Beratung die Arbeitsbedingungen von Arbeitnehmer*innen aus Mittel- und Osteuropa verbessert werden können.
In den vergangenen Monaten ging ein medialer Aufschrei durch Deutschland: Die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen für ausländische Beschäftigte, insbesondere in der Fleischindustrie standen im Mittelpunkt der gesellschaftlichen Diskussion. Dabei wurde deutlich: Die Ausbeutung von Menschen aus Mittel- und Osteuropa in deutschen Firmen und Fabriken ist für viele Beschäftigte nicht erst seit diesem Jahr Realität. Schon seit Langem werden festgelegte Gesundheits- und Arbeitsstandards gebrochen, Mindestlöhne umgangen, Arbeitsverträge nicht ausgestellt und gesetzliche Höchstgrenzen der Arbeitszeiten überschritten.
Besonders stark betroffen sind sogenannte „mobile Beschäftigte“ im Niedriglohnsektor – Arbeiter*innen aus dem EU-Ausland, die ein Arbeitsverhältnis in Deutschland aufnehmen, das meist nicht auf Dauer angelegt ist. Viele von ihnen verfügen über geringe Deutschkenntnisse und kennen ihre Rechte und Pflichten auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht, wodurch sich schlechte Arbeitsbedingungen bis hin zu illegalen Praktiken im Bereich mobiler Beschäftigung besonders leicht ausbreiten können.
„Faire Mobilität“ – Arbeitnehmerfreizügigkeit gerecht gestalten
An genau dieser Stelle setzt das Projekt „Faire Mobilität“ an und bietet unter Leitung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) seit inzwischen neun Jahren eine Anlaufstelle für mobile Beschäftigte aus mittel- und osteuropäischen EU-Staaten. Mit aktuell neun Standorten im Bundesgebiet unterstützt es Arbeitnehmer*innen durch kostenlose muttersprachliche und branchenspezifische Beratung bei der Durchsetzung ihrer Rechte auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Informationsmaterial und Qualifizierungsmaßnahmen ergänzen das Angebot und sollen auch weitere Akteur*innen, wie z. B. Betriebsräte für die Thematik sensibilisieren.
Ermöglicht wird die Umsetzung des Projektes seit 2011 durch die finanzielle Förderung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS).
Der Evaluationsauftrag
Im Auftrag des BMAS hat IMAP das Projekt „Faire Mobilität” in den vergangenen zehn Monaten in Kooperation mit der InterVal GmbH evaluiert. Dabei haben wir insbesondere das Beratungsangebot unter die Lupe genommen, immer mit den Fragen: Wirkt die Beratung? Was verändert sich für die Beratenen? Können so Arbeitsbedingungen verbessert werden?
Darüber hinaus haben wir förderliche und hinderliche Faktoren der Projektumsetzung identifiziert, ungedeckte Bedarfe der Zielgruppe ermittelt und eine Wirtschaftlichkeitsanalyse durchgeführt. Aus den Ergebnissen entstanden praxisbezogene Handlungsempfehlungen, die für eine Weiterentwicklung des Projektes genutzt werden.
Unsere Vorgehensweise
Die Evaluation eines Projektes in einem komplexen gesellschaftlichen Umfeld erfordert ein komplexes Vorgehen. Das Evaluations-Team entschied sich deshalb für ein umfassendes Set aus einander ergänzenden Evaluationsinstrumenten, die eng auf die Zielgruppe des Projektes abgestimmt wurden. Mit hoher Sensibilität gelang es dem Team, über verschiedene Kanäle (u. a. Social Media und Multiplikator*innen) Zugang zu fast 800 Beschäftigten aus Mittel- und Osteuropa zu erhalten, die innerhalb der letzten Jahre in Deutschland gearbeitet hatten und vielfach Probleme mit ihren Arbeitsgeber*innen oder Arbeitsverträgen erlebten. Onlinebefragung, Einzelinterviews und Fokusgruppeninterviews wurden in insgesamt sechs verschiedenen Sprachen durchgeführt. Neben den Arbeitnehmer*innen wurden Projektverantwortliche, Multiplikator*innen, fachliche Expert*innen, Vertreter*innen aus Betriebsräten und weitere Stakeholder*innen qualitativ und quantitativ befragt, sodass die Gesamtevaluation auf breit gestreuten Perspektiven basiert. Dieses Mixed-Methods-Design mit Methoden- und Forscher*innentriangulation ist unsere State-of the-Art-Herangehensweise für Evaluationen.
Erster Ausblick auf Ergebnisse
Die Auswertung der Daten ist zu einem großen Teil bereits abgeschlossen. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass „Faire Mobilität“ einen wertvollen Beitrag zu Aufklärung und Schutz mobiler Beschäftigter in Deutschland leistet. Die Erhebung hat gezeigt, dass durch die zielgruppenspezifische Ausrichtung des Projekts mitunter diejenigen Personen erreicht werden, die durch die Regelstrukturen häufig nicht erfasst werden. Als Schlüsselfaktoren und ausgewiesene Stärken des Projektes haben sich Zielgruppenorientierung, Mehrsprachigkeit und Kultursensibilität erwiesen. Die Implementierung kultursensibler Sichtweisen wird durch den Einsatz muttersprachlicher Berater*innen gewährleistet, die professionell, mit viel Sachverstand und lösungsorientiert Ratsuchende in schwierigen arbeitsrechtlichen Situationen unterstützen. Aus den intensiven Gesprächen mit Ratsuchenden ging hervor, dass „Faire Mobilität“ – mit seiner fachlichen Expertise, flexiblen Anpassung der Beratungsformen an Präferenzen der Zielgruppen und seiner guten Vernetzung innerhalb der Beratungslandschaft – adäquate Antworten auf die Bedarfe der Zielgruppen liefert. Um „Faire Mobilität“ langfristig zu mehr Wirksamkeit zu verhelfen, leitet das Evaluationsteam nach Abschluss der Auswertung aus den Ergebnissen konkrete Handlungsempfehlungen zur Weiterentwicklung des Projektes ab und präsentiert diese dem BMAS.
Wie geht es weiter?
Zur Stärkung der Arbeitnehmer*innen hat der Bundesrat am 3. Juli dieses Jahres die finanzielle Aufstockung und die Verstetigung von „Faire Mobilität“ beschlossen und die Weiterentwicklung von einem Projekt zu einem dauerhaften Beratungsangebot ermöglicht. Ab sofort stehen hierfür jährlich knapp 4 Millionen Euro zur Verfügung. Auf dieser Grundlage lässt sich das Beratungsangebot langfristig weiterentwickeln. Die Handlungsempfehlungen des Evaluationsberichts können hierbei als Orientierungsrahmen dienen.
Der Evaluationsbericht wird im Herbst dieses Jahres auf der Website des BMAS veröffentlicht.
Wer sich für die Situation Mobiler Beschäftigter interessiert, findet auf der Seite von „Faire Mobilität“ fast täglich neue aktuelle Informationen zum Thema: https://www.faire-mobilitaet.de/aktuell