Die aktuelle COVID-19 Pandemie stellt Führungskräfte und ihre Mitarbeitenden vor nie dagewesene Herausforderungen. Dabei unterscheiden sich die Herausforderungen in einer Krise häufig von denen, die man in der Vergangenheit erfolgreich bewältigt hat. Warum ist das so?
Um diese Frage zu beantworten ist es wichtig zu verstehen, dass in Zeiten einer Krise die Herausforderungen vermehrt nicht mehr kompliziert, sondern komplex sind: Zwei Begriffe, die häufig fälschlicherweise synonym verwendet werden.
Bei einer komplizierten Herausforderung kann ich das Problem erkennen, analysieren und nach einem erprobten Muster reagieren. Beispielsweise kann ich eine Fehlermeldung auf meinem Computer erkennen und falls ich diese nicht selbst beheben kann, Expert*innen hinzuziehen die das Problem beheben. Ein Computer ist kompliziert, er besteht aus vielen miteinander verbundenen Bauteilen und Programmen, die auf vorgegebenen Pfaden miteinander kommunizieren. Was für den Laien undurchschaubar wirkt, kann für Expert*innen allerdings im Detail bekannt sein: Dadurch können Bedingungen, Verknüpfungen und Beziehungen im Detail überprüft werden und eine Lösung für das Problem gefunden werden. Zudem ist das Ziel bei einer komplizierten Herausforderung klar – Hier: Die Fehlermeldung soll verschwinden – und es gibt mehrere Wege, wie ich dieses Ziel erreichen kann (selbst lösen, Expert*innen fragen, etc.).
Bei einer komplexen Herausforderung sieht es anders aus. Das Problem besteht hier ebenfalls aus vielen Teilen, allerdings sind nicht alle Teile bekannt und auch die Wechselwirkungen zwischen Ihnen können nicht in Gänze erfasst werden. Die Teile beeinflussen sich gegenseitig und entwickeln so eine Eigendynamik, durch welche Zusammenhänge und Ergebnisse verändert werden. Das bedeutet, dass komplexe Herausforderungen immer wieder neue Formen annehmen, was eine abschließende Analyse unmöglich macht.
Der Umgang mit COVID-19 ist ein gutes Beispiel für eine komplexe Herausforderung: So sind der Virus und seine Eigenschaften noch nicht vollständig erforscht, er löst bei einigen Menschen keine bis leichte; bei anderen schwerwiegende Symptomen aus. Er hat eine Eigendynamik angenommen, die wir mit den aktuellen Maßnahmen eindämmen wollen. Jedoch wissen wir nicht, welche Auswirkungen dies auf die Pandemie haben wird. Es existieren zudem mehrere Ziele mit unterschiedlichen Lösungsansätzen: Die einen plädieren für eine Verlängerung der aktuellen Maßnahmen, die anderen möchten die Maßnahmen beenden, um die Wirtschaft in Deutschland nicht noch weiter zu belasten - verschiedene Ziele, unterschiedliche Lösungsansätze. Auch die Folgen für die Gesellschaft sind hochkomplex, denn kein Bereich ist derzeit nicht in der ein oder anderen Form betroffen. Alle beeinflussen sie sich gegenseitig in weitgehend unvorhersehbarer Weise.
Was bedeutet das nun für Führungskräfte?
Um geeignete Lösungswege für Herausforderungen zu bestimmen, gilt es zunächst, den Typ der Herausforderung (kompliziert vs. komplex) mit den oben genannten Merkmalen zu identifizieren und zu verstehen. Nachdem dies geschehen ist, können typgerecht Lösungswege angegangen werden.
Komplizierte Herausforderungen lassen sich analysieren und durch erprobte Methoden lösen. Sie können zum Beispiel die komplizierte Herausforderung angehen zu analysieren, welche Chancen Sie und das Team aus der Krise ziehen können. Das Ziel ist klar definiert, es gibt allerdings mehrere Möglichkeiten, wie Sie dieses erreichen können. Eine Lösungsstrategie könnte beispielsweise die Analyse der Chancen und Risiken für das Team, mittels SWOT-Analyse sein. Dadurch können Führungskräfte identifizieren, in welchen Bereichen es sinnvoll ist, sich als Team weiterzuentwickeln. Ein aktuelles Beispiel ist die Herausforderung, das Arbeiten im Homeoffice zu ermöglichen. Neben Risiken durch die plötzliche Umstellung, fehlende technische Voraussetzungen oder Datenschutz bietet dieses Themenfeld auch langfristige Chancen: Beispielsweise, nach der Krise mehr Partizipation für Teilzeitbeschäftigte zu ermöglichen, da Besprechungen aufgezeichnet werden können oder Mitarbeitende sich digital von zu Hause zuschalten können.
Um ein komplexes Problem zu lösen können Führungskräfte nicht auf bestehende Lösungsmuster zurückgreifen. Stattdessen müssen sie Lösungsansätze ausprobieren, die Folgen daraus erkennen und dann auf dieser Grundlage mit neuen Lösungsansätzen erneut reagieren. Dabei gibt es keine Vorhersagbarkeit, dass die Lösungsansätze wirken werden. Das Krisenmanagement in der aktuellen Corona-Pandemie ist eine solche komplexe Herausforderung. Es kann daher passieren, dass die Entscheidung, die Sie heute getroffen haben, morgen nicht mehr funktioniert und Sie gefordert sind, flexibel umzudenken. Dies ist angesichts der Komplexität sogar eher die Regel, als die Ausnahme. Hier sind kreative und innovative Ansätze notwendig, also ein experimentelles Vorgehen gemeinsam mit dem Team. Um neue Lösungen für komplexe Herausforderungen zu finden, empfiehlt sich etwa, nach der Design Thinking Methode vorzugehen. Einen tollen Überblick über diese Methode und Ihre Anwendung für Sie als Führungskraft gibt das Forum der agilen Verwaltung.
Dabei haben wir mit unseren Klienten festgestellt, dass es wichtig ist, möglichst diverse und engagierte Mitarbeitende an der Ideenentwicklung für eine komplexe Herausforderung zu beteiligen: Je mehr Perspektiven eingebracht werden, desto adäquater ist in der Regel das Ergebnis.
Stellen Sie aktuell fest, dass nicht jeder Mitarbeitende Engagement zeigt und sich gedanklich nicht mit Chancen in Zeiten der Krise auseinandersetzen kann? Das könnte daran liegen, dass sich jeder Mitarbeitende an einem anderen Punkt der Krisenverarbeitung befindet. Wie erkennen Sie also wo Ihre Mitarbeitenden aktuell stehen?
Dazu möchten wir Ihnen das Krisenbewältigungsmodell nach E. Schuchhardt, Professorin für Bildungsforschung und Erwachsenenbildung an der Leibnitz Universität in Hannover, vorstellen. Ihr Spiralmodell der Trauer- und Krisenbewältigung fußt auf Untersuchungen von mehr als 2000 Krisenbiografien. Es besteht aus drei Stadien mit insgesamt acht Phasen (Bild oben):
- dem Eingangsstadium (Phase 1 und 2),
- dem Übergangsstadium (Phase 3 bis 5 ) und
- dem Zielstadium (Phase 6 bis 8).
Im Eingangsstadium beschäftigt der Mitarbeitende sich gedanklich mit der Krise und es kommt im Zweifel zu keinen sichtbaren Verhaltensänderungen. Denn in der ersten Phase der Ungewissheit werden Signale, die auf die Krise hindeuten, verdrängt. Lange schien Corona eine spezifische Herausforderung für die Volkrepublik China zu sein. Dann kam der Virus auch nach Europa, nach Deutschland und jeder einzelne Mensch war davon betroffen: Die Gewissheit kam durch das Kontaktverbot und die durch die Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen. Die Phase der Gewissheit ist geprägt von der rationalen Erkenntnis der Krise, wobei es beim Mitarbeitenden dazu kommen kann, dass er*sie emotional die Krise noch immer verdrängt. Besonders hier ist es für die Führungskraft wichtig, den Ernst der Lage mit den Mitarbeitenden zu besprechen und sich offen zu zeigen für Zweifel, Sorgen und Ängste, die daraus resultieren.
Im Durchgangsstadium können Sie als Führungskraft die Auseinandersetzung mit der Krise am Verhalten des Mitarbeitenden erkennen. Die Phase der Aggression kann sich durch wie Wut und Enttäuschung äußern, die für die Führungskraft beobachtbar werden. Diese Gefühle können auch gegen andere gerichtet werden. Es kann unter Umständen dazu kommen, dass Verhaltensweisen sichtbar werden, die Sie vorher nie von Ihren Mitarbeitenden vernommen haben. Hier ist es wichtig, mit dem Team über Fehler zu sprechen und diese nicht zu ignorieren. In der nächsten Phase der Verhandlung kann es dazu kommen, dass der Mitarbeitende mit Ihnen und seinem*ihrem Schicksal verhandelt. Bleiben Sie als Führungskraft offen für diese Verhandlungen und geben Sie klare Regeln vor, die für alle gelten sollen. Die aktive Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der Krise auf die Mitarbeitenden führt dazu, dass die Krise nun rational und emotional bei den Betroffenen ankommt. Dann kann es dazu führen, dass Mitarbeitende in die Phase der “Depression” fallen. Hier stehen die Sinnsuche und die Auseinandersetzung mit sich selbst im Vordergrund. Als Führungskraft sollten Sie daher immer wieder die Sinnhaftigkeit der Arbeit reflektieren und Formate zum Austausch zwischen den Mitarbeitenden schaffen. Gerade dort ist es wichtiger denn je, zu spüren, gebraucht zu werden.
Das Zielstadium ist das Stadium, in dem Ihre Mitarbeitenden Ihre Energie wieder vollumfänglich für die Verrichtung Ihrer Aufgaben einsetzen können. In diesem Stadium sehen Sie Engagement und Chancenorientierung bei den Mitarbeitenden. Erst in der Phase der Annahme nehmen die Mitarbeitenden die Krise mit allen Konsequenzen an und sind offen für Neues. Ab der Phase der Aktivität können die Mitarbeitenden ihre Energie darauf richten “mitzugestalten”. Hier werden Sie Ideen aus der “Ich-Perspektive” des/der Mitarbeiter*in vernehmen: “Ich habe einen Lösungsvorschlag für folgendes Problem …". In der letzten Phase der Solidarität übernehmen die Mitarbeitenden soziale Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und dem Team. Hier kommt es zu solidarischen Lösungsvorschlägen auf Teamebene.
Die vorgeschlagenen Handlungsempfehlungen sind nur ein kleiner Auszug aus den Möglichkeiten, die Sie als Führungskraft in der gegenwärtigen Situation haben. Der Kontext, in dem sich Ihr Team befindet, hat dabei großen Einfluss auf die Krisenverarbeitung. Daher ist es ratsam, Ihr Verhalten passgenau auf Ihr Team und dessen Kontext auszurichten. IMAP wünscht Ihnen dafür viel Durchhaltevermögen und unterstützt Sie gerne bei Fragen zu Ihren spezifischen Herausforderungen.