Pflegekräfte sind „systemrelevant“ – das haben die Umstände in Folge der Ausbreitung von COVID-19 nochmals verdeutlicht. Dennoch fehlt es in diesem Bereich an qualifiziertem Personal. Auch das wurde im Rahmen der COVID-19-Pandemie erneut schmerzhaft offenkundig. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, hat es in den vergangenen Jahren in Deutschland einen bedeutenden Zuwachs an ausländischen Pflegekräften gegeben. Zwischen 2012 und 2017 hat sich die Zahl der Pflegefachkräfte mit ausländischer Staatsangehörigkeit versechsfacht.[1] Doch das Ankommen allein genügt nicht, von zentraler Bedeutung ist, die Pflegekräfte langfristig zu binden und als motivierte Mitarbeiter*innen in den Organisationen zu halten.
Bindung fördern – kulturelle Unterschiede nutzen
Mit einem Zuwachs an Fachkräften aus dem Ausland steigt die kulturelle Vielfalt in den Pflegeeinrichtungen. Das bedeutet auch, dass kulturelle Unterschiede mehr Raum einnehmen können. Für die langfristige Bindung spielen diese häufig eine wichtige Rolle, da sich zum Beispiel das Berufs- oder Rollenverständnis, die Art und Weise der Zusammenarbeit und die Kommunikation unterscheiden können - entsprechend der jeweiligen Erfahrungen und Hintergründe. Um vor allem während der Anfangszeit mögliche Hürden aufgrund unterschiedlicher kultureller Prägungen zu überbrücken, sind alle Mitarbeitenden gefragt. Eine wichtige Rolle spielt dabei die jeweilige Organisationskultur.
Organisationskultur kann Orientierung und Sicherheit bieten
Organisationskultur – damit lassen sich Werte, Regeln, Haltungen und Glaubenssätze, die in der Organisation gelten zusammenfassen.[2] Vereinfacht gesprochen zeigt Organisationskultur sich darin, was im Miteinander der Menschen in einer Organisation als normal gilt. Die Kultur der Organisation ist ein wichtiger Faktor zur Bindung von Mitarbeitenden.[3] Sie beeinflusst unter anderem den Erfolg einer Organisation, das Engagement der Mitarbeitenden und die emotionale Bindung der Mitarbeitenden an die Organisation. Sie ist dabei in jeder Organisation vorhanden, auch wenn sie nicht immer und für jede Person sichtbar ist. Konkret drückt sich die Kultur im Verhalten der Organisationsmitglieder aus. Zum Beispiel ist es abhängig von der Organisationskultur, ob eine schon länger in einer Pflegeeinrichtung arbeitende Mitarbeiterin einen neu eingestellten Mitarbeiter darauf hinweist, wenn er seinen Dienstplan missverstanden hat oder, ob sie ihn auflaufen lässt.
Wichtig ist grundsätzlich: Es gibt keine per se gute oder schlechte Kultur. Die Frage ist eher, ob die Kultur förderlich oder hinderlich ist, also ob die Organisation ihre Ziele erfüllen kann und eine positive Zusammenarbeit gewährleistet wird. Wenn also kulturelle Unterschiede im Pflegeverständnis eine Herausforderung für die Zusammenarbeit zwischen neu zugewanderten und länger in Deutschland tätigen Pflegekräften darstellen, ist eine Organisationskultur förderlich, die eine Reflexion dieser Tatsachen erlaubt und eine offene Kommunikation im Team fördert.
Um das Konzept von Organisationskultur besser zu verstehen, kann man sich 4 Bereiche vergegenwärtigen, welche die Organisationskultur beeinflusst.
- Ordnung und Struktur. Die Organisationskultur ist das „Ordnungswissen“. Personen in der Organisation wissen so, wer Autorität und Entscheidungsmacht hat, welchen Personen einen bestimmten Status tragen oder wem gegenüber sie sich verantworten müssen.
- Orientierung für Handlungen. Die Kultur der Organisation vermittelt das Wissen darüber, was richtig und falsch ist und welches Verhalten als gut angesehen wird. Darüber schafft sie Orientierung.
- Sicherheit und Stabilität. Die Organisationskultur umfasst das Wissen über Routinen, Abläufe und Praktiken in der Organisation. So wissen Mitglieder der Organisation, wie in welcher Sache vorzugehen ist.
- Identifikation und Engagement. Die Frage nach dem Daseinszweck der Organisation wird ebenfalls durch die Organisationskultur beantwortet. Die Personen in der Organisation wissen zum Beispiel „Wir arbeiten hier, weil wir etwas Gutes tun.“
Gerade in der Ankommens-Zeit einer neuen Pflegekraft aus dem Ausland geben diese Aspekte der Organisationskultur viel Orientierung. Vorstellungen von richtig und falsch, sowie Routinen und Abläufe prägen insbesondere auch die Kommunikation in einer Pflegeinrichtung. Hier gilt es, einen sensiblen Blick darauf zu entwickeln, ob die Kultur der Einrichtung eine offene Kommunikation erlaubt, in der auch Fehler oder unangenehme Themen angesprochen und reflektiert werden können. Dies gilt nicht nur für die Gesamt-Organisation, sondern auch für einzelne Teams innerhalb einer Einrichtung. Auch hier können sich eigenständige Team-Kulturen herausbilden, die den Umgang miteinander prägen. Zum Beispiel kann in der Kommunikation im Pflegeteam eines Wohnbereichs ein Hilfsangebot eines*einer Kolleg*in als Entlastung und mit Dankbarkeit verstanden werden. In einem anderen Team könnte dies als Unterstellung mangelnder Kompetenz der Person aufgefasst werden.
Führungskräfte als Gestalter*innen von Organisationskultur
Die gute Nachricht ist: Organisationskultur lässt sich verändern! Das passiert im alltäglichen Miteinander, kann aber auch aktiv gestaltet werden. Wie können also die Aspekte der eigenen Organisationskultur gestärkt werden, die förderlich für die langfristige Bindung sind?
Eine Schlüsselrolle kommt hier Führungskräften zu. Sie haben einen besonders großen Gestaltungsspielraum in den Pflegeeinrichtungen, die alltägliche Zusammenarbeit zu beeinflussen. In einem ersten Schritt ist es für Führungskräfte wichtig, die eigene Organisationskultur zu beobachten, aufmerksam dafür zu sein, wie der Umgang miteinander ist und dazu ins Gespräch zu gehen. Für eine Veränderung in der Organisationskultur ist zudem insbesondere das gelebte Verhalten im Alltag zentral. Führungskräfte sind Vorbild für ihre Mitarbeitenden und können Organisationskultur prägen, indem sie selbst eine bestimmte Handlungsweise authentisch vorleben. Ein weiterer Hebel, um die Bindung neuer Mitarbeitender mithilfe der Organisationskultur zu stärken, bieten Formate wie regelmäßige, bereichsübergreifende Reflexionsgespräche. Führungskräfte können solche Gesprächsmöglichkeiten oder ähnliche Ideen initiieren und umsetzen und so eine Kultur des Austauschs fördern. Nicht zuletzt kann Führungspersonal außerdem zur Motivation aller Mitarbeitenden beitragen, förderliches Verhalten zu stärken und gleichermaßen für ein hinderliches Verhalten Alternativen aufzeigen, wie es anders gehen kann.
Einen genaueren Einblick in die Herausforderungen und Chancen der Integration ausländischer Pflegekräfte erhalten Sie in unserem Fachartikel „Interkulturelle Kompetenzen. Ausländische Pflegepersonen aktiv integrieren.“, der im September 2020 in Die Schwester I Der Pfleger erschienen ist.
[1] Pütz R et al. Betriebliche Integration von Pflegefachkräften aus dem Ausland – Innenansichten zu Herausforderungen globalisierter Arbeitsmärkte. Reihe Study der Hans-Böckler-Stiftung; 2019. Im Internet: www.boeckler.de/pdf/p_study_hbs_416.pdf; Zugriff: 28.05.2020
[2] Marshall, J. und McLean, A. (1985). Exploring Organisation Culture as a Route to Organisational Change. In: Hammond V. (Hrsg.): Current Research in Management. S. 20-22. Francis Pinter.
[3] Sackmann, S. A. (2017). Unternehmenskultur: Erkennen – Entwickeln – Verändern: Erfolgreich durch kulturbewusstes Management. 2. Auflage. Springer Gabler.